Wenn der wichtigste Einzelspieler ausfällt, gibt es für den Sportchef zwei Optionen: Er vertraut darauf, dass Eishockey eben doch ein Mannschaftsport ist, alle zusammenrücken und den Ausfall wettmachen. Oder er holt einen Ersatz, indem er eine weitere Ausländer-Lizenz einlöst.
In nahezu allen Fällen wird ein ausländischer Ersatz geholt. Sechs Ausländer dürfen pro Spiel eingesetzt werden, zehn Ausländerlizenzen stehen pro Saison zur Verfügung. Langnau hat erst sieben Ausländerlizenzen eingelöst und hätte Spielraum für die Verpflichtung eines ausländischen Goalies.
Am Sonntag hat sich Stéphane Charlin in Lugano eine Verletzung zugezogen. Er fällt sicher bis zum Ende der Qualifikation aus. Kein anderes Team der Liga ist so auf seine Nummer 1 angewiesen wie Langnau. Charlin ist statistisch der beste Goalie der Liga. Die SCL Tigers hatten diese Saison bis zur Partie in Lugano nur einen einzigen Sieg mit Luca Boltshauser geholt.
In Lugano musste Boltshauser ab der 17. Minute beim Stand von 1:0 die Nummer 1 vertreten und es ist ihm gelungen, den Sieg (3:1) festzuhalten. Ob er dazu in der Lage sein wird, Langnaus formidable Ausgangslage (sechs Runden vor Schluss Rang 8) abzusichern, ist offen. Die Verpflichtung eines ausländischen Goalies wäre unter diesen Umständen logisch und für die SCL Tigers finanzierbar gewesen, und Kandidaten sind angeboten worden.
Sportchef Pascal Müller hat die Neven nicht verloren und sich in Absprache mit seiner Trainer-Crew um Thierry Paterlini dazu entschieden, keinen Ersatz zu verpflichten. «Wir waren uns schnell einig, dass wir weiterhin auf unsere eigenen Torhüter setzen werden.» Also auf Luca Boltshauser (31), Martin Neckar (19, B-Lizenz, Chur) und Jovin Trachsel (17, U20-Junioren).
Das Risiko ist nicht zu unterschätzen. Neckar ist Frankreichs U20-Nationalgoalie mit Schweizer Lizenz, in Langnau ausgebildet und mit soliden Leistungen beim Farmteam Chur in der Swiss League. Aber er ist in der höchsten Liga noch nicht eingesetzt worden. Trachsel hat keine Erfahrung im Erwachsenenhockey. Die beiden könnten Boltshauser nicht ersetzen.
Lohnt sich dieses Risiko? Ja. Verpassen die SCL Tigers die Pre-Playoffs (oder heisst es Play-In?), dann wäre die Enttäuschung zwar gross, aber der sportliche und finanzielle Schaden gering: Der Liga-Erhalt steht nicht auf dem Spiel und die Emmentaler werden auch bei einem Saisonende bereits nach der Qualifikation schwarze Zahlen schreiben. Der Trainer würde nicht hinterfragt. Der Grund für das Scheitern wäre ja klar.
Schaffen die Langnauer zum dritten Mal nach 2011 und 2019 eine Saisonfortsetzung nach oben, dann wird der Gewinn gross sein. Denn dann ist für alle klar: Wir können auch mit Luca Boltshauser unsere Ziele erreichen. Nächste Saison wird Stéphane Charlin ja nicht mehr zur Verfügung stehen und entweder bei Servette oder in einer NHL-Organisation spielen.
Boltshausers Selbstvertrauen ist im Schatten einer übermächtigen Nummer 1 diese Saison etwas verkümmert. Vermag er jetzt, Charlin zu vertreten, dann wird er mental so robust sein, dass die Langnauer nächste Saison ihre Goalie-Sorgen weitgehend los sind. Robin Meyer (24), die neue Nummer 2, kann dann in aller Ruhe noch einmal einen Anlauf in der höchsten Liga wagen.
Das Risiko lohnt sich also. Und letztlich ist dieser Vertrauensbeweis gute PR nach innen und nach aussen. Nach innen ist die Botschaft: Wir reden nicht nur vom Vertrauen in unsere Spieler, wir leben dieses Vertrauen auch. Für eine Ausbildungs-Organisation wie die SCL Tigers eine Message in der Hockey-Szene von unschätzbarem Wert. Und nach aussen wird der Beweis gelebt, dass vernünftig gewirtschaftet und Sorge zum Geld getragen wird (Geld und Geist). Was gerade Werbepartner sehr zu schätzen wissen, die gerne nachhaltig investieren.
Der einzige Nachteil: Diese Goalie-Politik der Vernunft bietet keinen Stoff für eine kernige Polemik.